Freitag, 12. August 2016

Die Prinzessin

Die Prinzessin sitzt in ihrem hohen Turm
und kann sich nicht entscheiden.
Was ist ihr Lind, was ist ihr Wurm,
was soll sie hassen und
was soll sie nur nicht leiden?
Nichts ist ihr gut genug,
nichts kann sie rundweg milde stimmen,
und jeden Tag aufs neue fangen dunkle Wolken
rund herum im Kreis um ihren Turm
an, sich zu drehen, ein neues Sturmgewitter zu beginnen.

Die Prinzessin, sie ist eine reiche Frau,
doch was sie nicht weiß, ist: was zu tun
mit ihrem Gold, mit Kleidern, Schmuck und Geld,
mit Untertanen, Glanz und Ruhm.
Denn so, wie die Monarchen vor ihr,
um sie, und die nach ihr kommen,
weiß sie um ihr Recht:
Sie will regieren, herrschen, lenken -
und ist darin doch - so wie alle anderen Monarchen -
vielleicht nicht unerfahren, aber dennoch schlecht.

Das hat die Prinzessin schon so manchen Untertanen,
und manches Herz gekostet,
doch was stört das schon die Prinzessin,
es ist ihr gleich,
ob einer ihrer Ritter rastet oder rostet.
Die Prinzessin lebt sehr gut damit,
den Spatz in ihrer Hand zu haben.
Jedoch - zu ihrem Unglück - kann ihr dürre Seele
sich an tausend Spatzen nicht erfreuen:
alle, alle Spatzen muss sie haben,
alle!
Alle Spatzen, und die Tauben auf den Dächern,
und die Pfauen in den Gärten,
und die Kanarienvögel in den kleineren Gemächern.
Alles, alles muss sie haben.

Die Prinzessin grämt sich, dass sie alles haben muss,
denn bis dahin ist sie klug:
sie weiß, es wär' auch alles nicht genug.

Die Prinzessin lebt auf ihrem Turm,
und über alle Länder streift ihr Blick.
Alles Ferne ist nicht weit, ist nahe,
alles Ferne ist nicht ferne,
in der Ferne wähnt sie all ihr Glück.
Wähnt die Prinzen,
wähnt die reichen Könige,
zählt im Geist die goldnen Münzen,
und der ihren sind gewiss nicht wenige.

Die Prinzessin wird ein bitteres Ende nehmen,
hoch in ihrem fernen Turm,
auf der Chaiselongue, ihrer samtenen, bequemen,
Argwohn spendend aller Welt,
gierig in die Ferne schweifend,
ihre eignen Schlösser ungezählt.
Auf dem Mond noch nach den Sternen greifend,
so wie eine edle Frucht in einem kalten Land:
Blühend, wachsend, doch nie reifend,
sondern faulend
fallend eines Tages,
unversehen.

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