Samstag, 29. Dezember 2012

Nachdenkliches für die Zeit zwischen den Stühlen


Leere Hände

Sven pustete in seine Fäuste um sich zu wärmen. Was für ein eiskalter Winter! Selbst Lena, seine Hündin, schüttelte sich und winselte zum Erbarmen. Zu Weihnachten, wenn alle Geschäfte schlossen und sich die Straßen langsam leerten, da war es am allerschlimmsten. Und in diesem Jahr fand man nicht einmal in den U-Bahn-Haltestellen oder den Wartehäuschen Schutz vor dem eisigen Wind. Wenn all die Spießer in ihren geheizten Wohnkäfigen saßen und blöde Geschenke auspackten, dann war Sven eigentlich nicht so undankbar für ein Leben auf der Straße. In diesem Jahr war es anders. Mochten die Spießer Spießer sein, aber eine Heizung... Sven war bestimmt nicht leicht klein zu kriegen, aber die Nachte hatte ihn angekratzt und er schlotterte heimlich auf der Bank.
So kam es, dass er hier, an diesem unwahrscheinlichen Ort war, wo keine zehn Pferde ihn sonst hingezogen hätten. Er hatte sich in den katholischen Morgengottesdienst der Aegidienkirche gesetzt. Es war der früheste Gottesdienst an diesem ersten Weihnachtsfeiertag, und die große Kirche zwar nicht warm, aber wenigstens die Bänke verfügten über eine bescheidene Heizung unter der Sitzfläche. Von dem Gottesdienst hatte Sven nicht viel mitbekommen. Die seltsamen Lieder kannte er nicht, die alberne Aufmachung des Gurus da vorne verstand er nicht, Gott hielt er für einen billigen Trost, und das ständige Hinsetzen und Aufstehen fand er so dämlich, dass er gleich sitzen blieb. Auf dem warmen Platz. Billiger Trost, dieser Gott, aber seine Wohnstube kam Sven diesmal wirklich nicht ungelegen, das musste er auch zugeben.
Die Dame in ihrem Pelznerz, die vorhin etwas von ihm weggerutscht war, schaute immer wieder argwöhnisch auf Lena, die erschöpft zu Svens Füßen kauerte. Sven fühlte ihren bohrenden Blick - und ignorierte ihn. Schließlich konnte er Lena draußen schlecht erfrieren lassen.
Nach einer Weile hörte Sven vertrautes Geklimper. Wenige Momente später tauchte ein blauschwarzes Säckchen unter Svens Nase auf. Die Nerzdame hielt es ihm vorwurfsvoll vor das Gesicht. Er schaute weg. Sie schüttelte das Säckchen. Sven starrte sie an. Dann zog er die Hände hervor, auf die er sich gesetzt hatte, in der Hoffnung, dass das Beutelchen weitergehen würde. Er kramte verlegen in seinen zerschlissenen Taschen herum. Leer. Natürlich leer. Am 25. Dezember früh morgens gab es keinen, den man um ‘nen Euro anschnurren konnte, ein mieser Termin für’s Business. Die Dame schüttelte den Beutel wieder. Sven wurde nervös. Heimlich riss er sich einen Kopf von dem Ärmel, der der Nerz-Schnepfe abgewandt war. Dann warf er den Knopf möglichst geräuschvoll in das Beutelchen und grinste doof. Die olle Tante grinste auch, und zwar ebenfalls doof. Dann drehte sie sich wieder um. Sven dachte: “Scheiß drauf, lieber warme Hände als ein dämlicher Knopf an der Jacke.”

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